HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/202

Frist­lo­se Kün­di­gung we­gen Dieb­stahls von sechs Maul­ta­schen

Sechs Maul­ta­schen ent­wen­det: Frist­lo­se Kün­di­gung rech­tens: Ar­beits­ge­richt Lör­rach, Ur­teil vom.16.10.2009, 4 Ca 248/09
Rechte Hand mit roter Karte Der Letz­te nimmt was üb­rig bleibt
03.11.2009. Ver­stößt ein Ar­beit­neh­mer in er­heb­li­cher Wei­se ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten, so kann der Ar­beit­ge­ber das Ar­beits­ver­hält­nis im We­ge ei­ner au­ßer­or­dent­li­chen Kün­di­gung be­en­den. Dies setzt al­ler­dings vor­aus, dass es hier­für ei­nen "wich­ti­gen Grund" gibt, § 626 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB).

Das Ar­beits­ge­richt (ArbG) Lör­rach hat­te nun zu ent­schei­den, ob der Dieb­stahl von sechs Maul­tau­schen aus üb­rig­ge­blie­be­ner Be­woh­ner­ver­pfle­gung durch ei­ne Al­ten­pfle­ge­rin ei­nen sol­chen "wich­ti­gen Grund" dar­stellt, ArbG Lör­rach, Ur­teil vom 16.10.2009, 4 Ca 248/09.

Dieb­stahl kann außer­or­dent­li­che Kündi­gung recht­fer­ti­gen

Wenn ein Ar­beit­neh­mer in er­heb­li­cher Wei­se ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten ver­s­toßen hat, kann der Ar­beit­ge­ber das Ar­beits­verhält­nis im We­ge ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung be­en­den. In ei­nem sol­chen Fall muss er ei­ne ta­rif­li­che oder ar­beits­ver­trag­li­che Unkünd­bar­keit nicht be­ach­ten und ist auch nicht an die für ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung gel­ten­den Kündi­gungs­fris­ten ge­bun­den. Das Recht zu ei­ner sol­chen Kündi­gung gewährt § 626 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) un­ter der Vor­aus­set­zung, dass für ei­ne sol­che Kündi­gung ein „wich­ti­ger Grund“ vor­liegt.

Die Recht­spre­chung geht da­bei seit lan­gem da­von aus, dass ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung we­gen ei­nes vom Ar­beit­neh­mer zu­las­ten des Ar­beit­ge­bers be­gan­ge­nen Dieb­stahls oder an­de­ren Vermögens­de­likts auch dann zulässig ist, wenn der da­durch an­ge­rich­te­te Scha­den ge­ring ist. Auf den Wert ei­ner vom Ar­beit­neh­mer ge­stoh­le­nen Sa­che oder ei­nes durch ei­nen Be­trug er­lang­ten Vermögens­vor­teils kommt es da­her nicht an. Da­her hat­te die frist­los gekündig­te Kai­ser´s-Kas­sie­re­rin Bar­ba­ra („Em­me­ly“) Em­me auch kei­nen Er­folg mit ih­rer Ar­gu­men­ta­ti­on, ih­rem Ar­beit­ge­ber sei durch die strei­ti­ge Ent­wen­dung zwei­er Leer­gut­bons im Ge­samt­wert von 1,30 EUR kein nen­nens­wer­ter Scha­den ent­stan­den (wir be­rich­te­ten über den Fall Em­me­ly un­ter an­de­rem in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/028 Frist­lo­se Kündi­gung we­gen 1,30 EUR bestätigt).

Die Be­gründung für die­se auf den ers­ten Blick „har­te“ Recht­spre­chung lau­tet, dass es nicht auf den vom Ar­beit­neh­mer an­ge­rich­te­ten ma­te­ri­el­len Scha­den, son­dern auf den durch sein kri­mi­nel­les Ver­hal­ten ein­ge­tre­te­nen Ver­lust an Ver­trau­en in sei­ne Red­lich­keit und Zu­verlässig­keit an­kommt. Kann der Ar­beit­ge­ber das Ge­richt in ei­nem Kündi­gungs­schutz­pro­zess von ei­nem sol­chen Ver­trau­ens­ver­lust über­zeu­gen, hilft es dem Ar­beit­neh­mer meist auch nicht, wenn er auf ei­ne lan­ge Beschäfti­gungs­dau­er und ein vor­gerück­tes Al­ter ver­wei­sen kann.

Ob­wohl die­se Recht­spre­chung seit Jahr­zehn­ten un­an­ge­foch­ten ist und sich ei­ne Ände­rung nicht ab­zeich­net, wird ih­re Be­rech­ti­gung in den Me­di­en seit dem Fall „Em­me­ly“ kon­tro­vers dis­ku­tiert. Es häufen sich da­her in den letz­ten Mo­na­ten die Be­rich­te über außer­or­dent­li­che Kündi­gun­gen von Ar­beit­neh­mern we­gen - an­geb­li­cher - Ba­ga­tel­len, über die auch wir auf die­ser Web­sei­te un­ter der Ru­brik „Ar­beits­recht ak­tu­ell“ be­rich­te­ten (sie­he die Link­lis­te am En­de die­ses Bei­trags).

Die ar­beits­recht­li­che Über­prüfung ei­ner we­gen Ba­ga­tell­straf­ta­ten aus­ge­spro­che­nen außer­or­dent­li­chen Kündi­gung sieht im ein­zel­nen so aus, dass in ei­nem ers­ten Schritt der be­haup­te­te Pflicht­ver­s­toß, d.h. die Straf­tat ge­prüft wird. Mögli­cher­wei­se lag ja nur ein Miss­verständ­nis vor, d.h. der Ar­beit­neh­mer kann die ge­gen ihn be­ste­hen­den Ver­dachts­mo­men­te ent­kräften.

Ist das Ar­beits­ge­richt von der Tat über­zeugt, wird in ei­nem zwei­ten Schritt ei­ne In­ter­es­sen­abwägung vor­ge­nom­men, d.h. es wird ge­prüft, ob das Be­en­di­gungs­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers schwe­rer wiegt als das Fort­be­stands­in­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers. Hier sind zwar al­le für den Ar­beit­neh­mer spre­chen­den Ge­sichts­punk­te, ins­be­son­de­re Dienst­zeit, Al­ter, Un­ter­halts­pflich­ten, bis­he­ri­ger Ver­lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses und sein Ver­hal­ten nach Ent­de­ckung der Tat zu berück­sich­ti­gen, ge­ben aber sel­ten den Aus­schlag pro Ar­beit­neh­mer: Auch bei lan­ger Beschäfti­gungs­dau­er und vor­gerück­tem Al­ter wird in den meis­ten Fällen das Be­en­di­gungs­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers als vor­ran­gig be­wer­tet.

Über ei­nen Fall die­ser Art hat­te vor ei­ni­gen Wo­chen das Ar­beits­ge­richt Lörrach zu ent­schei­den (Ur­teil vom.16.10.2009, 4 Ca 248/09).

Der Fall: sechs Maul­ta­schen zum Mit­neh­men bit­te

Die 58-jähri­ge, ver­hei­ra­te­te Kläge­rin war seit En­de 1992 bei dem be­klag­ten Ar­beit­ge­ber, dem Träger ei­nes Al­ten­pfle­ge­heims, als Al­ten­pfle­ge­rin tätig. Durch ei­nen Aus­hang vom 20.09.2002 war der Al­ten­pfle­ge­rin be­kannt, dass der Ar­beit­ge­ber all­ge­mein den Ver­zehr von Res­ten aus der Be­woh­ner­ver­pfle­gung ver­bo­ten und die all­ge­mei­ne An­wei­sung er­teilt hat­te, Es­sens­res­te im­mer an die aus­lie­fern­de Küche zurück­zu­ge­ben. Ein Ver­zehr durch die Heim­mit­ar­bei­ter war nicht ge­stat­tet.

Am 21.04.2009 war die Al­ten­pfle­ge­rin am späten Vor­mit­tag auf ei­ner Pfle­ge­sta­ti­on mit der Aus­ga­be des Mit­tag­es­sens beschäftigt. Das Es­sen wird in Warm­hal­te­behältern von der Küche in die ein­zel­nen Sta­tio­nen ge­bracht und dort für die Be­woh­ner auf Tel­ler geschöpft und an­ge­rich­tet. An die­sem Tag gab es un­ter an­de­rem Maul­ta­schen, die in der Brühe schwim­mend in ei­nem Behälter warm ge­hal­ten wur­den.

Nach der Es­sens­aus­ga­be schöpfte sich die Al­ten­pfle­ge­rin ei­ni­ge Maul­ta­schen aus dem Behälter und füll­te sie in ei­ne in der Sta­ti­onsküche ver­wen­de­te Por­zel­lan­gemüse­scha­le. Später, nach Schich­ten­de, steck­te sie die Scha­le mit den Maul­ta­schen in ei­ne Stoff­ta­sche und ent­fern­te sich von der Sta­ti­on, als sie von ih­rer Vor­ge­setz­ten da­zu auf­ge­for­dert wur­de, den In­halt der Stoff­ta­sche vor­zu­zei­gen.

Wie vie­le Maul­ta­schen die Al­ten­pfle­ge­rin ent­wen­det hat­te, war zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Nach der Schätzung der Ar­beit­neh­me­rin wa­ren es drei bis vier Stück, nach An­ga­ben des Ar­beit­ge­bers wa­ren es sechs. Das Ge­richt folg­te nach um­fang­rei­cher Be­weis­auf­nah­me den An­ga­ben des Ar­beit­ge­bers, da sich die von ihm be­nann­ten Zeu­gen kon­kret dar­an er­in­nern konn­ten.

In der Anhörung zu dem Vor­fall gab die Al­ten­pfle­ge­rin an, die Maul­ta­schen an sich ge­nom­men zu ha­ben, um sie noch am Mit­tag zu es­sen, da sie großen Hun­ger ge­habt und am Nach­mit­tag noch zu der Schu­lung ge­musst ha­be. Der Ar­beit­ge­ber da­ge­gen ging an­ge­sichts der An­zahl der ent­wen­de­ten Maul­ta­schen da­von aus, sie ha­be sich be­vor­ra­ten wol­len.

Der Ar­beit­ge­ber kündig­te dar­auf­hin außer­or­dent­lich mit Schrei­ben vom 30.04.2009, die Al­ten­pfle­ge­rin er­hob hier­ge­gen Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Ehr­li­che Wor­te und auf­rich­ti­ge Reue können den Ar­beits­platz ret­ten

Das Ar­beits­ge­richt Lörrach wies die Kla­ge mit ei­nem ausführ­lich be­gründe­ten Ur­teil ab, d.h. es hielt die außer­or­dent­li­che Kündi­gung für rech­tens. Ei­nen vom Ge­richt im Lau­fe des Pro­zes­ses vor­ge­schla­ge­nen Ver­gleich, dem zu­fol­ge sich die Al­ten­pfle­ge­rin mit der Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung von 25.000,00 EUR hätte ein­ver­stan­den erklären sol­len, woll­te die Al­ten­pfle­ge­rin nicht an­neh­men.

Im Hin­blick auf die teil­wei­se zwi­schen den Par­tei­en strei­ti­gen Umstände der Tat­be­ge­hung ging das Ge­richt von der Ab­sicht der Be­vor­ra­tung aus. Sechs Maul­ta­schen sind in der Tat ein we­nig viel für ei­ne Mahl­zeit, so dass der Fall hier an­ders liegt als in den Fällen, in de­nen der Ar­beit­neh­mer sei­ne Möglich­keit des Zu­griffs auf Le­bens­mit­tel, die dem Ar­beit­ge­ber gehören, da­zu nutzt, um ei­ne Klei­nig­keit zu ent­wen­den und so­fort zu ver­zeh­ren.

Das Ge­richt ging wei­ter­hin auch da­von aus, dass der Al­ten­pfle­ge­rin die ge­ne­rel­le An­wei­sung des Ar­beit­ge­bers, Res­te aus der Be­woh­ner­ver­pfle­gung nicht an sich zu neh­men, be­kannt war. So­mit stand für das Ge­richt ein von der Kläge­rin verübter Dieb­stahl fest. Der Wert der ge­stoh­le­nen Sa­chen war zwar ge­ring und war mit et­wa zwei bis drei Eu­ro zu ver­an­schla­gen. Den­noch ging die In­ter­es­sen­abwägung in die­sem Fall - wie in vie­len ähn­li­chen Fällen - zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers aus, da das Ge­richt den durch den Dieb­stahl ein­ge­tre­te­nen Ver­trau­ens­ver­lust für gra­vie­ren­der hielt als die für die Ar­beit­neh­me­rin spre­chen­den Umstände.

Ei­ner­seits hat­te sich die Kläge­rin zwar für ihr Ver­hal­ten ent­schul­digt. An­de­rer­seits hat­te sie nach An­sicht des Ge­richts ver­sucht, ihr Ver­hal­ten zu ba­ga­tel­li­sie­ren, in­dem sie wahr­heits­wid­rig be­haup­te­te, nur drei bis vier Maul­ta­schen ge­nom­men zu ha­ben, d.h. die Men­ge, die man bei großem Hun­ger höchs­tens es­sen kann. Da­mit hat­te die Kläge­rin ih­re Ent­schul­di­gung bzw. de­ren Ernst­haf­tig­keit ent­wer­tet. Auf­grund der ge­sam­ten Umstände woll­te das Ge­richt der Kläge­rin nicht zu­gu­te hal­ten, sie ha­be le­dig­lich aus ei­ner Au­gen­blicks­si­tua­ti­on her­aus ih­ren Hun­ger stil­len wol­len.

Fa­zit: Das Ar­beits­ge­richt Lörrach ist eben­so­we­nig wie an­de­re Ar­beits­ge­rich­te da­zu be­reit, ei­ne ge­ne­rel­le „Ge­ringfügig­keits­gren­ze“ an­zu­er­ken­nen, d.h. letzt­lich „frei­zu­ge­ben“ bzw. ei­nem vor­he­ri­gen Ab­mah­nungs­er­for­der­nis zu un­ter­wer­fen. Dies würde letzt­lich dar­auf hin­aus­lau­fen, „Rechts­un­si­cher­heit im Um­gang mit Be­triebs­mit­teln zu er­zeu­gen“. In der Tat wird die Gren­ze zwi­schen ei­nem ge­rin­gen und ei­nem nicht mehr ge­rin­gen Wert sehr ver­schie­den ge­zo­gen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu dem Vor­gang fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 6. September 2016

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de